Social Media ist von Grund auf so konzipiert, die Nutzer abhängig zu machen.
Cal Newport
Dieses Zitat ist eine Kernthese aus dem Buch „Digital Minimalism“ von Cal Newport. Weiter führt er aus, dass das Ziel der Plattformen eine hohe Screentime ist. Kurz gesagt: je mehr Screentime, umso mehr Werbung wird ausgespielt und umso mehr Werbeeinnahmen generiert Facebook & Co.
Seit ich diese These hörte, änderte sich mein Verhältnis zu Social Media. Ich hinterfrage mein eigenes Verhalten auf Social Media viel mehr. Ist es wirklich so abhängig machend oder übertrieb Cal Newport?
Morgens ist die erste Aktion nach dem Wecker ausstellen das Öffnen von Facebook, Twitter und Insta, um zu sehen, was es neues gibt. In der Pause auf der Arbeit scrollen und swipen. Nach der Arbeit vorm Essen ein Foto von der aktuellen Mahlzeit auf Insta hochladen. Abends im Bett nochmal schnell die Likes checken. Schlafen und dann beginnt der Kreislauf von neuem.
„Ja, ich bin viel auf Facebook und Insta, aber bin ich süchtig?“, fragte ich mich.
Das Herauszufinden war recht einfach: mal ein paar Tage ohne Social Media auskommen.
Freitag bis Sonntag Abend war mein Plan.
Da merkte ich, wie sehr mir alles fehlte.
Ich stieg am Montag wieder ein und hatte den Vorsatz, bewusster auf Social Media zu agieren.
Neben der Abhängigkeit gibt es noch weitere Gründe für mich von Social Media künftig auf Sparflamme zu betreiben. Vieles spielt ineinander ein und man kann die Punkte schlecht isoliert betrachten, doch ich will es versuchen:
Der dauerhafte Grumpy-Mode
„Grumpy“, „schlecht gelaunt“ oder „ständig anklagend“ sind die Attribute, die mir einfallen, wenn ich an einen typischen Social-Media-User denke.
90 % der Social-Media-User sind dauerhaft im Grumpy-Mode, denke ich. Von Neid und Hass zerfressen gönnen sie den Anderen nicht mal das schwarze unter den Fingernägeln. Es wird sich auch ständig empört. Jeden Tag wird eine andere Sau durchs Twitter-Dorf getrieben: Mal sagt ein Politiker etwas Indiskutables, dann wird ein veganes Wurstbrot gepostet oder ein Nazi sagt Nazi-Zeug. Die Leute stürzen sich drauf und verbreiten die Nachricht, verschaffen dem Verfasser auch noch Aufmerksamkeit. Als ich bei den Piraten war, fragte ich mich ernsthaft, wieso meine halbe Piraten-Timeline blaue Bildchen, statt die eigenen, orangenen teilt? Natürlich ist eine indiskutable Aussage indiskutabel, aber sie im eigenem Netzwerk zu teilen, dass auch jeder den Hirnrülpser mitkriegt erfüllt nur den Zweck der kalkulierten indiskutablen Aussage.
Es ödet mich Zusehens an, wie die immer gleichen Personen mit den immer gleichen Mustern die immergleichen Feindbilder mit austauschbaren Worten verbal bekämpften.
Ändert es etwas?
Die Leute stimmen selten zu und ändern ihre Meinung fast nie. Ich habe in 25 Jahren Internet bisher nur einmal gesehen, wie eine Person öffentlich geschrieben hat, dass sie ihre Meinung wegen einer Diskussion geändert hat.
Die Leute bilden sich zwar ein, dass ein Kommentar unter einer indiskutablen Aussage etwas ändere, aber in der Praxis lässt sich doch niemand von einem Kommentar oder einem bösen Smiley beeinflussen.
Ändert es etwas, wenn ich den Kommentar absende? Ist eine Frage, die sich jeder Kommentator stellen sollte. Es bleibt alles gleich. Die gleichen Leute aus der eigenen Peergroup klopfen sich virtuell gegenseitig auf die Schulter, dass sie zu den guten gehören und die anderen, die bösen, doch wieder besonders böse sind. Am Ende ändert sich nichts durch einen banalen Kommentar.
Insta macht depressiv
Mit all den schönen Menschen und Dingen (Uhren, Autos, Häuser usw.) auf Insta kommt einem das eigene Leben so langweilig und banal vor, wenn man die App schließt. Es ist kein schönes Gefühl in einem 13 Jahre alten Kleinwagen einzusteigen, wenn der Porsche oder Ferrari in der Tasche so unerreichbar weit weg ist.
Aufmerksamkeitsspanne
Kurznachrichten sind kurz. Deshalb muss man sich beim Lesen nicht mehr sonderlich viel anstrengen. Man gewöhnt sich an, nur noch kurze, weniger komplizierte Texte zu lesen. Daraufhin ist man schon mit einem einfachen Buch überfordert und kann kaum den Text erfassen. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne der Leute sank in den letzten Jahren rapide. Das passierte auch bei mir.
Social Media erzieht uns zu Konsumlemmingen
Warum hängen so viele 14 Stunden pro Tag am Handy, klicken, swipen und liken wie blöde? Weil, die Plattformen genau dafür konzipiert sind. Man gewöhnt sich ein Konsumverhalten an, das darauf ausgelegt ist, Werbeeinnahmen zu generieren. Das geht am besten durch Klicken, Swipen und Liken. Durch Likes und Swipes sieht der Algorithmus, die persönlichen Vorlieben und durch Klicks, werden die Werbeeinnahmen generiert (Pay per Click).
Es wird einem unverlangt irrelevantes Zeug in die Timeline gespült
Früher hat man Person X, Person Y oder Kanal Z abonniert oder man wurde Freund und man bekam auch nur von den abonnierten Leuten die Beiträge angezeigt. Das Bild ist heute etwas anders. Man bekommt irgendwas, was Freunde von Freunden posten. Irgendwelche Empfehlungen, die mich erst beim 2 hingucken nicht interessieren. Beim ersten Hingucken, lese ich mir das durch, um dann festzustellen, dass ich der Person gar nicht folge und mich das Thema nicht interessiert, weil es erst im dritten Absatz erwähnt wird. Wegen dieses Verhaltens denkt der Algorithmus, dass mich das Thema interessiere und spielt dann später Beiträge von diesem Thema aus.
Wenn du gekickt wirst, bist du weg vom Fenster
Was passiert, wenn du gegen die Gemeinschaftsstandards verstößt und von der Plattform gekickt wirst? Du kannst dann von vorne anfangen oder es bleiben lassen. Viele, auch nicht so kontroverse Personen wurden schon gekickt. Wenn Facebook denkt, dein Spiegelei seien Brüste(ich finde den Post grad nicht mehr, wo der Facebook-Algo ein Foto von Spiegeleiern als Brüste fehlinterpretiert und den User gekickt hat.) , dann hast du verloren. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb ich lieber hier ins Blog schreibe. Da kann mich keiner rausschmeißen.
Wenn du auf Social Media aktiv bist, bist du auf das Wohlwollen des Algorithmus angewiesen.
Social Media macht süchtig(man kann es nicht oft genug sagen)
Drogensüchtige und Leute, die Social-Media nutzen, werden im Englischen gleichermaßen User genannt. Es wurden von den Unternehmen zig Millionen in Forschung gesteckt, wie man Social Media-User noch süchtiger machen kann. Wie bereits eingangs gesagt: mehr Screentime, mehr Werbeeinnahmen.
Social media will kein freies Internet
Die Social-Media-Unternehmen haben ein Interesse, dass du auf ihrer Plattform bleibst. Sie verteidigen dieses Interesse mit allen Mitteln. Bei Facebook und LinkedIn bekommen Posts mit Links sehr viel weniger Reichweite, als welche ohne. Bei Twitter darf man mittlerweile nicht mehr Links zu anderen Social-Media-Plattformen posten.
Das widerspricht der Idee eines freien Internets
Du bist, was Funktionen betrifft, auf das Wohlwollen der Betreiber angewiesen
Bei Flickr hatte man früher 1 Gigabyte Platz für Fotos, dann wurde der Laden verkauft, dann hatte man als Free-User nur noch für 1000 Fotos Platz, heute hat man nur noch Platz für 50 private Fotos. Der Funktionsumfang wird schrittweise ständig so geändert, dass man sich einen Premium-Account kauft.
Kaum Mehrwert für mich
Eine gute Messlatte, ob dir die Information dir guttut ist die Frage, würdest du Geld dafür bezahlen wollen? Ich habe mir bei vielen Posts die Frage gestellt und diese nur mit Nein beantworten können. Ein paar Leute, die wirklich unterhaltsam sind, würde ich auch was an der Abendkasse bezahlen oder wenn es um Business-Tipps geht, da habe ich schon Zeug von Leuten gekauft, weil sie vorher Mehrwert boten.
Man kümmert sich um die Angelegenheiten der anderen, statt sich um sein eigenes Leben zu kümmern
Was bei @babsi43792 im fernen Norden passiert, ist seltsamerweise interessanter als die eigene Steuererklärung, der Abwasch oder die Beziehung zum Umfeld.
Die Qualität der Diskussionen lässt zu wünschen übrig
Die meisten Leute lesen Überschriften, die dazu da sind, Leute zu catchen. Auf Grundlage der meist reißerischen Headlines bekommen die Leute dann direkt einen Hals und kommentieren dann, ohne den Text zu lesen und sich um die Hintergründe zu scheren. Dies dann meist emotional, statt sachlich.
Blauhakenmeinung
Ein Phänomen, dass ich besonders auf Twitter beobachtet habe ist, dass Leute, die sich eine große Gefolgschaft aufgebaut haben und von diesen Leuten Applaus kriegen, halten sich für wichtig und sie denken, dass Universum drehe sich um sie. Dabei besonders habe ich das bei Blauhaken-Accounts beobachten können. Dabei ist es doch nur Twitter? Wenn Twitter abgeschaltet wird, sind auch die Follower weg und man ist dann nicht mehr wichtig. Blöd.
Followerzahlen und Interaktionen sind eher abstrakt, machen aber doch süchtig
Man kann tausende Likes nicht wirklich messen und fühlen, zumindest war das bei mir so. Es ist am Ende eine Zahl, die auf dem Bildschirm erscheint.
Wenn tausend Menschen nach einem Konzert applaudieren, ist das etwas anderes. Man wird trotzdem süchtig nach Likes, doch man stumpft ab: Gestern hatte man 100 Likes und heute nur 50 und man fühlt sich schlecht und möchte das Gefühl von 100 Likes zurückhaben, was aber nicht geht, weil es eben etwas anderes ist, wenn an zum ersten Mal 100 Likes bekommt, als wenn man es täglich bekommt, man braucht mehr, bekommt es aber nicht, es sei denn, man macht fragwürdiges Zeug wie sich leichter anziehen oder sich im Gesicht zu tätowieren zu lassen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Da sind wir wieder beim Suchtthema, das ich eingangs mit dem Zitat von Cal Newport beschrieben habe.
Natürlich hat Social Media auch Vorteile. Sonst hätte ich es nicht so viele Jahre dort ausgehalten
Eine große Masse an Menschen nutzt Social Media, was das Netzwerken einfacher macht. Und wenn man sich mit Leuten connectet kann man sofort sehen, was die Interessen sind und man hat ein Gesprächsthema.
Wie geht es mit mir und Social Media weiter?
Es ist und bleib schwierig. Ich bin in ein paar Facebookgruppen, wo ich auch für den Zugang bezahlt habe. Viele Leute mit meinen Interessen sind auf Reddit oder Twitter…. Und das ist halt das Ding: über gemeinsame Interessen hat man eine Verbindung, die ich mit den Leuten in meiner Stadt so nie hätte.
Social Media macht das möglich. Die Frage für mich bleibt: wie kann ich die schädlichen Aspekte von Social Media reduzieren oder von mir fernhalten, während ich mit den Leuten, die mir doch etwas bedeuten, in Kontakt bleibe? Es bleibt spannend.